Heinrich Christian Rust: Geist Gottes - Quelle des Lebens: Grundlagen einer missionalen Pneumatologie (Rezension, Teil 8 + Fazit)

Unter dem Titel “Der Geist der Hoffnung“ beschließt (oder vollendet?:-) Rust mit diesem achten Kapitel seine Pneumatologie, bevor er in einem kurzen Ausblick ein “neues“ Pfingsten anspricht. Der Thematik entsprechend ist das Kapitel recht abstrakt, denn - wie er zurecht darauf hinweist - “fehlen noch tragende und passende Begriffe, um die eschatologische Wirklichkeit des angebrochenen Reiches Gottes auszumalen.“ (327) Überhaupt argumentiert Rust v.a. methodologisch, was aber eine wichtige hermeneutische Funktion hat. So behauptet er, Eschatologie im Zuge einer missionalen Pneumatologie gehöre eigentlich nicht ans Ende (wie in den meisten systematischen Entwürfen zum dritten Glaubensartikel), sondern vielmehr an den Anfang. Denn “[d]ie Eschatologie hilft uns, hier und jetzt schon mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen und in der Missio Dei unterwegs zu sein.“ (324) Für den theologisch weniger Geschulten wird dies verständlicher, wenn Rust von “Ineinanderschiebung von Zeitgeschichte und Heilsgeschichte“ (327) spricht und darauf hinaus will, dass in Jesu Tod und Auferweckung wie der Sendung des Heiligen Geistes an Pfingsten das Reich Gottes ja bereits angebrochen ist - heilsgeschichtlich also schon da -, aber eben noch nicht in ganzer Fülle und Vollendung, sodass wir Menschen immer noch Teil der vergänglichen Schöpfung sind.  Genau diese Spannung auszuhalten und nicht auf einer von beiden Seiten vom Pferd zu fallen, ist die Herausforderung.

Exegetisch-Theologisch ist Rust hier übrigens auf der Höhe der Zeit, wenn er neben der Erlösung der Individuen nicht nur auch den ganzen Kosmos in den Blick nimmt, sondern auch von einer leiblichen Auferstehung ausgeht, die unter der Wirkung des Heiligen Geistes eine Transformation all dessen beinhaltet, was zuvor vergänglich gewesen ist (325ff.). Hinsichtlich einer formulierten Eschatologie bedeutet dies für ihn ergo, “dass darin die Gegenwart der Heilserfahrung, ihre missiologische Heilsbedeutung und die aktive Mitgestaltung eingeschlossen und aufgehoben sind.“ (329) Das ist insofern innovativ, als dass es dem alten evangelikalen Klischee entweicht, Christen würden sich der Welt entziehen, weil sie sowieso dem Untergang geweiht sei; vielmehr hat jeder einzelne aktiven Einfluss darauf, wie es werden wird, weil bereits hier und jetzt Facetten des angebrochenen Reiches Gottes realisiert werden können, z.B. durch den Dienst am Nächsten unter Einsatz von Charismen; überhaupt den Prozess der Heiligung versteht Rust als Beginn und Vorgeschmack der Vollendung (334). Die Charismen als Wirkung der Gabe des Geistes sind, so Rust, schon Angeld der kommenden Vollendung, weshalb für ihn Pneumatologie und Eschatologie untrennbar miteinander verbunden sind (334).

Neben der bereits genannten (persönlichen) Heiligung ist für Rust aber auch der Widerstand des Christen Aufgabe gegen das Seufzen und Leiden der Schöpfung (336) - nicht in dem Sinne, dass alles Leid schon hier und jetzt beendet werden könnte (Rust widerspricht explizit der “Glaubensbewegung“ - man müsse nur genügend Glauben haben, dann würde das Wunder oder die Heilung schon eintreffen). Mit-Leiden gehört neben den Transformationsambitionen auf Grundlage der Vollendungshoffnung damit ebenso dazu (342).

Als Ziel und Hoffnung der Vollendung durch den Geist definiert Rust schließlich die ewige Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk, was sowohl die individuelle Auferweckung der Toten beinhaltet als auch die kosmische Vollendung, womit die Mission Gottes zu ihrem Ziel kommt (344f.). Mit Moltmann integriert Rust wiederum das Bild der Shekhina-Vorstellung (346).

Doch zuvor - heilsgeschichtlich gesehen - kann Rust im Zuge eines kurzen Ausblicks noch den Fokus auf ein neues Pfingsten vor der Wiederkunft Christi richten: Ihm geht es um das Reich Gottes, das kosmologische Dimenensionen habe (351). Er spielt damit aber vorwiegend auf eine neue “kirchlich-theologische“ (bzw. pneumato- logische) Strömung an, in dessen Tradition auch sein Buch steht, das er selbst als Denkanstoß versteht (353). Statt selbst gemachter Kirche will Rust damit den Weg bereiten, dass der Geist Gottes - als Initiator - auch tatsächlich fließen kann und die institutionelle(n) Kirche(n) nicht (wieder) im Weg steht.

Fazit:
Rust bietet aus meiner Sicht damit einen gelungenen Entwurf einer konsequent durchgezogenen missionalen Pneumatologie. Die Verknüpfung von theoretischen Überlegungen und praktischen Erfahrungsberichten ergeben zusammen eine fundierte und dennoch verständliche Grundlage seiner Denkweise. Besonders hervorheben möchte ich dabei die konsequente Einbettung der Pneumatologie in die Trinität, die dem Charismatiker Rust immer wieder hilft, Himmel und Erde, Diesseits und Jenseits, Schöpfung und Neuschöpfung zusammenzuhalten. Gleichzeitig argumentiert er sehr nah am biblischen Text, während ihm auch Bibelkritik nicht fremd ist, sie aber genauso wie einen Biblizismus in ihre Schranken weist.

Dieses Gemisch von Bibelnähe, trinitarischem Denken und breitem Erfahrungsschatz führt Rust konsequent zu seiner missionalen Pneumatologie, die eine gute Schneise zwischen dem pfingstlich-charismatischen Lager und der missionalen Bewegung schlägt. Hermeneutisch ist er ebenfalls auf der Höhe der Zeit und argumentiert immer wieder inklusivistisch, d.h. er gesteht auch Nicht-Christen und anderen Religionen zu, eine gewisse Erkenntnis des Geistes Gottes zu haben, auch wenn er sich - als evangelikal geprägter Christ - natürlich sicher ist, dass die letztgültige Offenbarung Gottes die in Jesus Christus bleibt und sich alles andere an ihr messen muss.

Das eigentlich Neue bzw. die konsequente Missionalität in Rusts Entwurf zeichnet sich aber dadurch aus, dass Rust sämtliches Wirken des Geistes immer in den Dienst der Missio Dei, der Sendung Gottes, stellt: Von der Schöpfung bis hin zur Vollendung ist es immer der Geist, der sich in der Sendung befindet und die gesamte Schöpfung mit hineinnehmen möchte in einen Transformationsprozess. Die Christen erlangen ihren Anteil und ihre Aufgabe daran, indem sie aus der Kraft des Heiligen Geistes heraus von Sünde überführt werden und den Prozess der Heiligung angehen, gleichsam eine neue Gemeinschaft der Heiligen bilden und von dort her, z.B. durch den Gebrauch der ihnen anvertrauten Geistesgaben, Zeugnis geben und sich in den Dienst zur Ausbreitung des Reiches Gottes stellen, bis die vergängliche Schöpfung irgendwann durch den Geist vollendet wird.

Sicher schießt Rust an wenigen Stellen etwas übers Ziel hinaus, wie zuvor bereits angemerkt. Was aber tatsächlich nicht besonders gelungen ist, betrifft die Zeichensetzung. Neben einigen Kommafehlern, sonstigen orthographischen Kleinigkeiten und häufig fehlenden Leerzeichen (besonders auffällig bei Angaben zu biblischen Büchern, die mal mit und mal ohne Leerzeichen angegeben werden) sind leider zahlreiche Literaturverweise mangelhaft. Denn teilweise wird die Angabe der Auflage mit zur Jahreszahl dazu in derselben Größe gedruckt, sodass Literaturverweise entstehen wie “Köberle 20004: 190ff.“ (154) oder “Moltmann, 19892.“ (207; und überhaupt: Warum hier das Komma zur Trennung). Ganz besonders ärgerlich sind aber falsche oder fehlende bibliographische Angaben wie unter Fußnote 315, wenn dort der Verweis auf “Zimmerling 2003³: 154.“ (243) erfolgt, im Literaturverzeichnis aber lediglich “Zimmerling, Peter 2009³“ (368) zu finden ist. Ist Letzteres versehentlicherweise gemeint oder wurde der zweite Eintrag vergessen? 


Nichtsdestotrotz kann ich Rusts pneumatologischen Entwurf wärmstens zur eigenen Lektüre empfehlen und hoffe, dass auch diese Äußerlichkeiten mit der zweiten Auflage behoben sein werden.

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